Schulden

Leandor versicherte sich, dass die Gnomenkappe noch auf seinem Kopf saß. Vorsichtig zupfte er sie ein wenig höher, so dass sie nur gerade so auflag. Er würde nachher einiges an Zeit investieren müssen, um seine kunstvolle Frisur wieder herzustellen. Verärgert rümpfte er die Nase. Wie gut, dass die Kappe jeden Blick auf ihn verhinderte, so wurde wenigstens niemand Zeuge seines derangierten Aussehens.
Kurz zwirbelte er selbstvergessen sein Bärt-chen und strich ein unsichtbares Staubkorn von seinem nachtschwarzen Samtumhang. Hoffentlich hielt das Wetter. Schwarzer Samt war nicht dazu geeignet, warm und trocken zu halten, doch bevor er auf den Empfang ging, hatte er noch ein kleines Ärgernis zu erledigen.
Ein leichtes Schmunzeln teilte seine schmalen Lippen und er gratulierte sich innerlich selbst für den amüsanten Vergleich. Palwino als ‚kleines Ärgernis‘ zu bezeichnen, traf den Sachverhalt wirklich auf das Vorzüglichste.
Flink wie eine Gämse erkletterte Leandor die filigranen Balkone der Ladenstraße, schlich an erleuchteten Fenstern und schlafenden Hunden vorbei, bis er schließlich zu seinem Ziel kam.
„Palwinos phantastische Fundstücke aus aller Welt“ verkündete das illuminierte Schild vollmundig. Oh ja, Leandor mochte den Kramladen, doch den Inhaber und seine impertinente Art, auf die Bezahlung der ausstehenden Zahlungen zu pochen, mochte er dafür umso weniger.
Er spreizte den kleinen Finger ab und drehte den schmalen Steinring, so dass die hässliche Fratze, die in den Stein hineingearbeitet war nun gen Innenfläche seiner Hand zeigte. Um ihn herum wurde die Stille der klaren Winternacht absolut.
Im flackernden Lampenschein des Laden-schildes holte er seine Dietriche hervor und entriegelte problemlos die niedrige Ladentüre. Triumphierend lachte Leandor auf, doch kein Laut war zu hören. Er sparte sich das Schmieren der Türangeln, nur Amateure und billige Gossendiebe hielten sich mit solchen Aktionen auf. Lautlos schlüpfte er ins Innere des Kramladens. Natürlich musste er sich auch heute tief bücken, um nicht die Stirn am Türrahmen anzuschlagen. Unbemerkt blieb die Gnomenkappe an den winzigen Klebefäden hängen, die knapp unter dem Türrahmen verspannt waren.
Stille und Kälte folgten ihm, verloren sich aber schon bald in dem bunten Sammelsurium aus aller Welt, das die Vitrinen und Regale im Inneren des Ladens füllte. Überall glitzerte und funkelte es. Wo scheinbar langweilige Alltagsgegenstände standen, verrieten kleine Schildchen, von Palwino selbst in krakeliger Handschrift erstellt, was das Besondere an dem Ausstellungsstück war, dass es ihm einen Platz im Kramladen eingebracht hatte.
Leandor seufzte lautlos und ließ den Blick einen Moment schweifen. Wie immer standen die neusten Erwerbungen des gnomischen Händlers nah am Kamin, in dem nur noch hier und da ein letzter Rest Glut unter der Asche glomm.
Nimmerwelkende Rosen, eine Brosche der Finsternis, eine hässliche Gargylenstatue, eine einfache Ledertasche, die noch keinen Hinweiszettel besaß und ein nachtschwarzes Cape warteten auf neue Besitzer. Leandor nahm sich vor, die Gegenstände nachher einer genaueren Besichtigung zu unterziehen. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Wobei, heute ging beides Hand in Hand.
Viel zu oft hatte der alte Gnom ihn schon in Verlegenheit gebracht, wenn er ihn nach den ausstehenden Zahlungen für Leandors letzte Einkäufe fragte, ohne Rücksicht darauf, ob noch weitere Kunden im Laden das Gespräch hören konnten. Doch nun war es genug. Immer noch wurde der Assassine schamrot, in Erinnerung an das letzte Gespräch, dass ihm Palwino im Beisein von Leandors Mentor aufgenötigt hatte.
Natürlich hatte der Gnom ihm letztlich die filigrane kleine Armbrust überlassen, deren Gnomenmechanik sie eher wie ein Spielzeug wirken ließ. Doch hatte er sich lange geweigert, ihm das dazugehörige Giftfläschchen zu ver-äußern, das aus dem praktischen kleinen Ding eine tödliche Waffe machte. Nicht viel länger als eine Männerhand war die Armbrust, ganz aus dunklem Holz und geschwärztem Metall gefertigt. Perfekt, um in einem weiten Ärmel verborgen, auf den tödlichen Einsatz zu warten. ‚Leandor der Lautlose‘ nannte man ihn, bald schon würde er sein Tagwerk noch ein wenig stiller und eleganter vollbringen. Ein lähmender Bolzen im Auge machte doch einiges mehr her, als eine aufgeschnittene Kehle.
Vorfreude ließ Leandor lächeln, als er sich zu der schlafenden Gestalt im Schaukelstuhl hinwandte, welche hinter der niedrigen Ladentheke schlief. Auch in dieser Nacht hatte es Palwino nicht mehr bis hinauf in sein Bett geschafft. Neben dem Schaukelstuhl stand noch die Dampfapparatur, die den Gnom wie immer in süßlich-benebelnde Dämpfe hüllte. Leandor wollte gar nicht wissen, was der Gnom da vernebelte, aber die einlullende Wirkung kam ihm sehr entgegen.
Mit einer dramatischen Geste ließ er seinen Samtumhang aufschwingen und hob den rechten Arm, an dem eine winzige Armbrust, an einem ledernen Armschutz befestigt war. Er ließ den präparierten Bolzen aus dem gläsernen Schutzbehälter gleiten und seinen Platz auf dem dunklen Holz der bereits gespannten Armbrust finden. Dann kniff er spielerisch ein Auge zusammen und konzentrierte sich, um zu zielen.
Fürwahr, es war ein Meisterwerk, das ihn auf einen Schlag aller seiner Schulden entheben würde und ihm völlig neue Möglichkeiten des lautlosen Todes eröffnete. Zwar war die Reichweite der winzigen Waffe nicht gerade überragend, doch war sie elegant und hatte das gewisse Extra, das Leandor sich nur zu gerne zu Eigen machte.
Mit einem leisen Sirren entspannte sich die Armbrustsehne und schickte ihren vergifteten Bolzen gen Ziel. Leandor bemerkte ein schwaches Kribbeln im Nacken, doch seine Verwunderung über den Laut gewann die Oberhand. Konnte es sein, dass der Ring eine magische Fehlfunktion aufwies? Träge glitt sein Blick zwischen der beringten Hand und der Gnomenarmbrust an seinem anderen Arm hin und her. Die Sehne war gespannt. Der vergiftete Bolzen schimmerte tückisch im schwachen Licht des sterbenden Kaminfeuers.
Der Gargyle vor dem Kamin senkte den Arm und legte die gnomische Armbrust auf einen filigranen Tisch aus Flechtwerk. Palwino stellte das leise Schnarchen ein und öffnete die Augen. „Vielen Dank Kerk, deine Schulden sind beglichen“, erklärte er mit einem ernsthaften kleinen Nicken, zu der scheinbar lebendig gewordenen Gargylestatue. Die kleine untersetzte Gestalt deutete eine Verbeugung an und rieb sich energisch Steinstaub vom Leib. Unter der hellen Oberfläche wurde aschfarbene Gnomenhaut sichtbar. Mit einem energischen Rubbeln befreite er sich von weiterer Steinpaste, die ihn im schlechten Licht des Kaminfeuers einer Statue täuschend ähnlich hatte werden lassen.
Leandor stürzte zu Boden, er schaffte es nicht, auch nur einen Finger zu rühren, um seinen Sturz aufzuhalten. Steinstaub rieselte auf ihn hinab, als Kerk zu ihm trat und ihm mit geschickten Bewegungen die Armbrust, seinen Ring und sogar seinen Dolchgürtel abnahm. Mit einer weiteren Verbeugung überreichte er alles Palwino, der seinen Dampfapparat neu befüllte, als wäre nichts geschehen.
„Eine Schande, er war kein schlechter Kunde, wenn auch seine Zahlungsmoral beklagenswert war“, seufzte der Händlergnom, bevor er ein geschäftiges Lächeln aufsetzte und dem anderen, immer noch grau gefärbten Artgenossen den Ring feilbot. „Kerk alter Freund, du hast nicht zufällig Interesse an einem Ring der Stille? Sein Wirkungskreis ist beschränkt, doch ist er für einen deiner Profession durchaus von einem gewissen Nutzen. Er ist gebraucht, ich mache dir einen Freundschaftspreis, du kannst auch anschreiben lassen…“
Immer leiser wurden die Worte, immer dunkler der Laden. Leandor kämpfte dagegen an, doch dieses Mal bezahlte er mit seinem Leben.

Spielwerte

Neue Waffe: Splitter

„Gnomische Mini-Armbrust“ (auch „Splitter“ genannt)

Waffengruppe: Armbrust
Min. Stärke: –
Schaden: -2
Attribut: GE
Gewicht: 0,5 kg (10 Bolzen 0,2 kg)
Ini-Bonus: +2
Preis: 10 GF (10 Bolzen 8 KL)
Häufigkeit: sehr selten

Reichweiten-Malusse
Bis 2m: -2
Bis 5m: -4
Bis 10m: -8
Bis 20m: -14
Über 20m: nicht möglich

Eine „Gnomische Mini-Armbrust“ wird durch einen Schlüssel über einen komplexen Mechanismus gespannt. Der Bolzen wird aber nicht, wie bei einer normalen Armbrust üblich, in eine Rinne, sondern ein zu beiden Seiten offenes Rohr eingelegt. In gespanntem Zustand verhindert ein Klappmechanismus das Herausfallen des Bolzens. Jener wird bei Betätigung des Abzugs automatisch entsichert und gibt den Weg für das Geschoss frei. Der gesamte Ladevorgang erfordert etwa zwei Runden, sodass die Waffe innerhalb von drei Runden geladen und abgefeuert werden kann. Eine Mini-Armbrust zu entdecken, die unter einem weiten Gewand verborgen wird, erfordert ein sehr schweres Wahrnehmungsmanöver (MS 12).

Neues Gift: Grabesruh

Name: Grabesruh
Vorkommen: unterirdisch / selten (m-U-5)
Form/Zubereitung: Schnecke / Paste
Preis: 30 GF

Rang 7, vollständige Lähmung (1 Würfel Stunden) und 1 Schaden

Grabesruh ist ein seltenes, aber sehr beliebtes Gift, welches aus dem Schleim des Weißen Riesenschleimers, einer unterirdisch anzutreffenden, etwa rattengroßen und relativ harmlosen Nacktschneckenart gewonnen und in einem aufwändigen alchemistischen Prozess, zu einem schnell wirkenden Waffengift veredelt wird.
Es kann in Form einer Paste auf alle Schnitt- oder Stichwaffen aufgetragen werden. Bei einem erfolgreichen Treffer tritt der lähmende Effekt innerhalb von 1-10 Runden ein und hält für 1-10 Stunden an. Während dieser Zeit ist das Opfer vollständig gelähmt, aber bei vollem Bewusstsein.
Da für die Gewinnung einer Dosis des Giftes zwei bis drei Dutzend (je nach Größe der Tiere) Schnecken gesammelt werden müssen, ist der Weiße Riesenschleimer in einigen Teilen der Unterwelt sehr selten geworden, ein Umstand, den die gnomischen Schneckensammler bei jeder Preiserhöhung ins Feld führen.

Waffengift herstellen

Waffengift herstellen (eine Dosis)

Rohstoffe/Kosten: 30 Weiße Riesenschleimer / – (30 TT)

Voraussetzung/Zeit: alchemistisches Labor / 3 Tage

Wissen (Alchemie) (MS 10)

Diese Geschichte gibt es auch zum Download: [wpdm_file id=7]

 

 

Text und Idee: Anja Eble

Lektorat: Tobias Freund

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