Sturmgeboren

Sturmgeboren

Bartok lauschte dem säuselnden Zischen des Sturmes in den Kaminen. Immer wieder jagten heulend Böen in die dünnen Felsspalten hinab und drückten die züngelnden Flammen in der Höhle nieder, sie machten es schwer, die Temperatur zu halten. Unwillig zwirbelte er seinen Bart, flocht ihn dann mit geübten Handgriffen zu einem Zopf, den er im Schutz der steifen Lederschürze verschwinden ließ. Funken und Splitter hatten sein Gesicht im Laufe der Jahre gezeichnet, so dass es im Feuerschein ab und an aufglomm, als würde er selbst aus seinem liebsten Werkstoff bestehen. Er hustete rau, unterdrückte das Lachen, das in seiner Kehle kitzelte.

Konzentration. Es war nur der Sturm, der einige Schritt über ihm um die hohen Felstürme jagte, die sich wie Finger in den Nachthimmel streckten. Nur der Sturm. Er zwang sich nicht in die Nische zu sehen. Das schwache Licht aus der Esse würde eh nicht reichen, um den Körper und das Weib sichtbar zu machen. Aber er wusste, dass der andere dort lag – was von ihm übrig war – und sein rachsüchtiges Weib neben der geplünderten Leiche kauerte und sang. So oft übertönte ihr monotones Klagelied sogar den Klang seiner Hämmer auf dem Amboss. Nur heute Nacht war der Sturm lauter. Bartok entschlüpfte ein kurzes Kichern, das in einem Hustenanfall endete. Der Rauch und Steinstaub von Jahrhunderten machte ihm das Atmen schwer.

Es war an der Zeit, das Werk zu vollenden. Unerwartet sanft, fast schon zärtlich glitten seine Finger über den knochenhellen Leib, polierten die kunstvollen Einlegearbeiten aus Kristall, folgten den mit Steinpaste gefärbten dünnen Schnitzlinien. Ein letztes Mal hob er das Wesen hoch, um es gegen den flackernden Feuerschein zu betrachten. Knochen, Stein, Kristall, Leder, Erz. Mehr war es nicht. Und doch brauchte es so viel mehr, um aus diesem Bündel das zu machen, was den Mord rechtfertigte.

„Komm! Es ist an dir, es zu vollenden“, befahl er dem Weib, und sie erhob sich aus den Schatten und schleppte sich schwerfällig und zögernd in den Lichtkreis des Feuers. Sie stank nach altem Blut, nach blinder Eifersucht und brennender Wut.

Genug Wut, um Unrecht mit Unrecht zu vergelten. Genug, um ihren untreuen Mann zu erschlagen, genug, um ihrer Rivalin einen Zauber zu schicken, der so alt war, dass er besser längst in Vergessenheit geraten wäre. Genug, um Bartoks irren Wunschtraum wahr werden zu lassen.

Bartok war alt und hatte viel gesehen, viel erlebt, viel gelernt. Der alte Lehrer seines eigenen Meisters hatte von dem Sturmgeborenen erzählt. Damals, nach durchzechter Nacht, hatte das Starkbier die alte Geschichte hervor gespült. Und sie brachte diese dunkle Seite in Bartok zum Vorschein, die nie wieder ganz verschwinden sollte. Die Jahre hatten ihn nie vergessen lassen, was er gehört hatte, und er wisperte es nun, den Atem kurz vom Rauch und Steinstaub, der seine Lunge immer schneller vertrocknen ließ, als sich das Weib näherte.

„Maßlose Wut, um heißer als Feuer zu Sturmgeboren brennen. Echsenkrallen, um zu klettern. Leder wird dich tragen, auf Schwingen durch die Sturmnacht. Kristall wird dir zu Augenlicht und beste Klingen deine Fänge. Zwergenschädel für die Heimtücke. Geschmiedet von mir, gebadet in Blut, erschaffen aus Rache und Wut.“ Bartok hörte die Zwergin neben sich zischen vor Angst, als das Wesen von der Größe eines Hundes sich in seinen Armen zu regen begann.

Wie ein neugeborenes Kind badete er es in dem Kessel über dem Schmiedefeuer und kümmerte sich nicht um den beißenden Schmerz des heißen Blutes an seinen bloßen Armen. Längst schon war der Schädelknochen rot vor Blut, traten die onyxfarbenen Einlegearbeiten in filigranen Mustern hervor, hoben sich edelsteinbesetzte Rippen in den ersten seelenlosen Atemzügen. Spitze Krallen gruben sich tief in Bartoks Arme, und er hörte die messerscharfen Zähne des Wesens aufeinanderschlagen. Es hatte keinen Namen in der alten Geschichte gehabt. Zu groß war das Grauen gewesen, zu drängend der Wunsch, zu vergessen, dass ein solches Wesen jemals existiert hatte, dass es von einem Zwerg erschaffen worden war.

Das Weib schrie auf, als sich der lange Greifschwanz aus rasselnden Kettengliedern aus dem brodelnden Kessel erhob. Mit einer einzigen peitschenden Bewegung wischte er durch das Gesicht der Zwergin und Flammenschein ließ die scharf geschliffenen Edelsteine kurz aufblitzen, bevor sie in zwergisches Fleisch schnitten. Mit einem gurgelnden Schrei ging die Frau zu Boden. Sie hatte es nicht besser verdient. Bartok lachte.

Es funktionierte tatsächlich! Immer lauter wurde sein Lachen, kippte in ein meckerndes Geräusch, das sogar das Kreischen des Windes in den Kaminen übertönte. Er versuchte sich festzuhalten, spürte weiches nachgiebiges Fleisch unter seinen Krallen und hustete Blut. Versuchte nur aus Gewohnheit, mehr Luft in seine Lungen zu ziehen, denn sein Atem ging so frei und leicht, wie seit Jahren nicht mehr. Da hörte er es das erste Mal.

Der Wind rief ihn. Lockte ihn hinaus. Bartok krallte sich am Kesselrand fest, spürte die Wärme des Blutes aus sich hinauslaufen und sah sich um. Nie hatte er schärfer gesehen, nie hatte der Wind schöner geklungen. Er sang ihm ein Lied von Freiheit und Wut, lockte ihn die Frau zu suchen, die Händlerin, die zu töten er geschaffen worden war.

Auf dem Boden lagen zwei Zwerge. Ein alter Mann in schwerer Lederschürze und eine Frau in blutigen Lumpen gekleidet, mit zerschnittenem Gesicht. Beide reglos. In einer kleinen Nische lag ein ausgeweideter Kadaver, kopflos, blutleer, alt. Es stank nach Verwesung und heißem Metall, nach Steinstaub und Kohlefeuer.

Mit einer beiläufigen Bewegung schnappte Bartok nach dem schimmernden Band aus Energie, das ihn mit dem alten Zwerg am Boden verband, durchtrennte es mühelos und spürte, wie die Magie nun ganz sein war. Ein letzter rasselnder Atemzug entwich seinem alten Zwergenleib, dann lag der still.

Ein Hauch von Bedauern regte sich in ihm, als er die Rolle feinsten Steinwerkzeuges und den vertrauten alten Schmiedehammer sah, die neben der Esse lagen. Er würde sie zurücklassen müssen. Aber dann zog ihn das Säuseln und Zischen des Windes zu den engen Steinkaminen. Mit einem Satz sprang er hinauf, klammerte sich an die steile Wand und begann zu klettern. Vier Pfoten leisteten bessere Dienste, als Finger es je vermocht hätten. Heiß lohte das Feuer unter ihm, doch der sternenlose Nachthimmel, über den der Wind wild die Wolken jagte, war schon nach wenigen Metern Kletterns sichtbar.

Bartok zog sich geschickt über den Rand, balancierte sein Gewicht mithilfe des Greifschwanzes problemlos aus, dann öffnete er das erste Mal seine Lederschwingen und stürzte sich in den Sturm.

Nur eine Aufgabe, die Händlerin finden und töten, wie er es dem Weib geschworen hatte. Dann war er frei, ein neues Leben zu leben, das er sich selbst geschaffen hatte. Bartok flog auf dem Sturm in die Nacht, und sein Atem lohte als grelle Flamme auf, er bereute nichts.

 

Diese Geschichte gibt es auch zum Download:

Im Download-Dokument befindet sich auch das Ritual genauer beschrieben, als auch die Spielwerte der Kreatur.

Text und Idee: Anja Eble
Lektorat: Johanna Adolphs-Kenning & Tobias Freund
Illustration: Onesemniuc Irina Andreea