von Maria Kunath
„Wie lange sollen wir denn hier noch auf das Vieh warten?“, beschwerte sich der grobschlächtige Olwin maulig, während er mit verschränkten Armen an einem Baum lehnte. Sein kleinwüchsiger Kumpane Ethras, der hinter einem Busch kauerte, verdrehte die Augen. „Jetzt sei schon still“, zischte er und richtete seinen Blick wieder auf das vielleicht 15 oder 20 Schritt entfernte Erdloch. Ein alter Holzfäller hatte ihnen nach einem Humpen Bier und einem Mahl auf ihre Kosten von der Stelle erzählt, wo das Kugeltier ihm aufgefallen war, und von dem Loch im Boden, das ein Eingang zu seinem Bau sein könnte. Gut, dass der Alte diesen Hinweis niemand anderem mehr geben würde. Ethras grinste bei dem Gedanken. Er wollte das Tier finden und seinen Schatz sowie die Belohnung für das Fell einstreichen. Verstohlen warf er einen Blick hinüber zu seinem Kumpanen. Um ihn würde er sich später kümmern.
Plötzlich bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Da! Kaum sichtbar zwischen dem Gestrüpp rührte sich etwas – graubraun, fast grünlich schien das Fell der Kreatur, die sich langsam durch das Gebüsch schob. Ohne zu blinzeln, beobachtete der kleine Mann, wie das pelzige, runde Wesen dem Erdloch zustrebte, und machte seinem Begleiter ein Zeichen. Olwin schnaubte geräuschvoll, stieß sich von seinem Baumstamm ab und mäkelte: „Was ist denn?“ Das laute Poltern scheuchte das Karbunkel auf und Ethras sah mit Schrecken, wie unter den Büschen immer mehr der kleinen Tiere erschienen und sich überall verteilten. Einige verschwanden in dem Loch, andere stoben auseinander und raschelten nun von allen Seiten im Laub. „Dämlicher Idiot!“, dachte Ethras und gab seine Deckung auf. Er brach aus dem Gestrüpp und rannte auf das Erdloch zu. Die brummige Stimme Olwins brüllte irgendetwas hinter ihm, aber er achtete nicht darauf. Dafür hatte er jetzt keine Zeit. Ethras ignorierte die kugeligen Pelztiere, die durch das Unterholz huschten, und zwängte sich in die seitliche Öffnung des Erdhaufens, den er den ganzen Tag über beobachtet hatte. Gerade so passte er in das Loch. Stockdunkel und stickig war es darin. Schon nach kurzer Zeit, die er sich kriechend fortbewegte, verstummten die Geräusche von der Oberfläche. Der Gang fiel stellenweise ein Stück ab und in unregelmäßigen Abständen konnte Ethras zu seinen Seiten weitere Öffnungen ertasten. Zunächst ließ er sie unerkundet; je länger er jedoch in den Gängen herumkroch, desto häufiger bog er ab und versuchte einen anderen Weg. Die Luft wurde immer drückender, das Kriechen anstrengender. Ethras fühlte, wie seine Arme lahm wurden und sein eigenes Gewicht gegen seine Brust drückte, was ihm mehr und mehr den Atem nahm. Das Zeitgefühl und die Orientierung hatte er längst verloren. Als er schon glaubte, nie mehr wieder an die Oberfläche zu gelangen, bemerkte er ein fahles Licht, das vor ihm aus einem abzweigenden Gang schien. Hastig kroch er darauf zu. Hatten sich seine Mühen doch gelohnt? War er nun endlich am Ziel?
Ein Karbunkel, in manchen Gegenden auch Kugeltier oder Fellteufel genannt, ist ein eher seltenes Geschöpf auf Aborea. Ungefähr von der Größe eines ausgewachsenen Hasen ist der gesamte Körper eines Karbunkel von dichtem meliertem Fell in Schwarz und Weißsowie Grau- oder Brauntönen bedeckt. Nur ein Paar großer dunkler Augen ist in dem Pelz deutlich erkennbar. Karbunkel sind Allesfresser und ernähren sich von kleineren Nagetieren, Beeren und anderen Früchten, Pilzen oder Wurzeln. Schon so mancher Bauer hat angenagte Vorräte in seiner Scheune bemerkt und vielleicht Mäuse dafür verantwortlich gemacht, was tatsächlich ein Karbunkel auf Nahrungssuche angerichtet hat.
Entgegen landläufiger Annahmen, Karbunkel würden in großen Familien zusammenleben, sind sie eher Einzelgänger. Den Eindruck einer großen Gruppe erwecken sie durch ihre Fähigkeit, beliebig viele Duplikate von sich selbst zu erschaffen, wobei es sich jedoch nur um Illusionen handelt. Diese Fertigkeit nutzen sie, um Raubtiere von sich fernzuhalten und nicht als leichte Beute zu enden.
In ihrer Heimatumgebung können sich Karbunkel vor menschlichen Wesen durch ihr meliertes Fell gut verstecken. Es heißt sogar, das Fell eines Karbunkel könne seine Farbe geringfügig verändern, um sich der Umgebung besser anzupassen. Diese Eigenschaft soll es auch nach dem Tod des Tieres behalten, was es als Pelzbesatz sowohl bei der feinen Gesellschaft, als auch in zwielichtigeren Kreisen sehr begehrt macht.
Ein Karbunkel zu finden ist aber nicht nur ein Abenteuer für Modeliebhaber: In vielen Gegenden gibt es Geschichten über den sagenumwobenen Karbunkelstein – ein magisches Juwel, das einem angeblich einen Herzenswunsch erfüllen kann. Bei der Jagd nach diesem Stein und wegen ihres Fells sind schon viele Karbunkel getötet worden. Wer aber einen Karbunkelstein sucht, muss sich durch die niedrigen, labyrinthartigen Gänge des Karbunkelbaus kämpfen. Findet ein Kugeltier keine verzweigte natürliche Höhle, in der es sich einnisten kann, gräbt es mit seinen Vorderläufen selbst einen verschlungenen Bau, der so manchen Schatzsucher in die Irre führen kann. Im Volksmund heißt es, dass der Weg durch das Labyrinth eines Karbunkels und vor allem das gehütete Kleinod ohne das Tier selbst unmöglich zu finden sein soll.
Neben diesem wenigen, kaum gesicherten Wissen über die Karbunkel ist auch unklar, ob jedes dieser kleinen Pelztiere einen solchen magischen Stein in seinem Bau versteckt hält. Möglich wäre, dass es am Ende gar nicht mehrere, sondern nur ein einziges solches Juwel gibt. Aber wer würde nicht das Wagnis eingehen, um sich einen wirklich wichtigen Wunsch zu erfüllen?
Karbunkel (SG 7)
TP 20, INI +6, Biss, Schaden +1 *, KB 4, Rüstung 1, Verwirrung 5 **, Tarnung 1 ***, Zauberresistenz 4, Echolot ****, Schatz F
* Der Biss eines Karbunkels enthält ein schwaches Gift (SG 1), das die Anfälligkeit für die Verwirrungen um +2 erhöht bzw. diese um denselben Wert verstärkt (die Verwirrung beträgt dann 7 und nicht mehr 5). Weitere Bisse erhöhen die Anfälligkeit nicht noch mehr. Das Gift wirkt einen Würfelwurf Tage fort.
** Ein Karbunkel erzeugt ein Verwirrungsfeld, dessen Umkreis 20 m beträgt. Alle Kreaturen innerhalb des Feldes neigen zu Halluzinationen, die von den unbewussten Wünschen und der Phantasie der Kreatur gestaltet werden. Da diese direkt im Geist wirken, sind sie von Kreatur zu Kreatur unterschiedlich und täuschen alle Sinne. Gerät ein Karbunkel in Gefahr, dann erzeugt es sofort unbewusst eine Geistesbeeinflussung bei allen Kreaturen im Feld, die eine Vielzahl von Karbunkeln vorgaukelt und das echte verbirgt. Diese Verwirrungen sind schwer zu überwinden – entsprechende Manöver sind um 5 erschwert.
*** Die Farbe des Fells eines Karbunkels passt sich automatisch leicht der Umgebungsfarbe an, sie sind daher etwas schwerer auszumachen (entsprechende Manöver werden um 1 modifiziert).
**** Karbunkel verfügen über eine Echoortung im Ultraschallbereich. Da sie die tatsächlichen Formen durch ihre Fähigkeit erfassen können, sind sie selbst durch Illusionen nur äußerst schwer täuschbar. Sie können so außerdem auch in absoluter Dunkelheit und unabhängig von guten Sichtverhältnissen handeln.