von Maria Kunath
„Aber achtet auf die Graslik, wenn ihr ans Wasser geht!“ „Ja, Mama!“, rief der kleine Corvyn in Richtung der Hütte, die sein Heim war, ehe er sich seinen Freunden anschloss. Er hatte diese Warnungen schon so oft gehört – jedes Mal, wenn sie an den Bach gingen: „Kontrolliert das Ufer!“, „Achtet auf Bewegungen im Wasser!“, „Schlagt jedes Ding tot, das sich auf eure Haut setzt!“ In Corvyns Gürtel steckte zu diesem Zweck ein kleines spitzes Messer, mit dem er sich schon Frösche und kleine Schlangen vom Leib gehalten hatte. Jedes Bauernkind kannte die Graslik, aber an ihrem Bach hatte Corvyn noch nie einen gesehen. Wozu sich also Sorgen machen?
Trotzdem durchsuchten sie pflichtschuldig das Gras, als sie das Bachufer erreichten, und prüften aufmerksam das klare Wasser: Nichts zu sehen. Eilig streiften die Kinder ihre Schuhe und Hosen ab und sprangen ins kühle Nass. Eine Wohltat an diesem heißen Sommertag, dessen Sonnenstrahlen ihnen bereits vor dem Mittag auf der Haut glühten. Vorsorglich mit Loramilch eingerieben, einem transparenten Gel, das aus der Milch im Stiel der Lorablume gekocht wird, hatten sie jedoch keinen Sonnenbrand zu befürchten.
Heute durfte Corvyn das Seemonster sein. Endlich! Wer wollte schon ständig die Mädchen retten oder selbst Opfer des Monsters werden? Auf einem großen Stein am Ufer brachte er sich in Positur, wobei er sich auf alle Viere stellte, und ließ sein furchteinflößendstes Brüllen hören. Die anderen Kinder keuchten gespielt erschrocken auf und taten so, als wollten sie fliehen. Corvyn sprang vom Stein in das kaum hüfthohe Wasser und griff nach der Schulter eines Mädchens, das verzweifelt aufschrie. „Ich fresse dich!“, schrie Corvyn so böse er konnte. Das Mädchen wollte sich daraufhin schon geschlagen ins Wasser sinken lassen, als einer der anderen Jungen mit einem Stock bewaffnet angestürmt kam. Dann ging alles sehr schnell: Corvyn trat dem Schlag ausweichend zurück, das Mädchen drehte sich weg, doch der angreifende Junge stolperte und schrie auf. Dann sah Corvyn das Tier. Es saß auf dem Bein seines Freundes, schwarz wie Schlick mit rötlichen Sprenkeln, vielleicht so groß wie seine Hand. Sechs Froschbeine klebten auf der nackten Kinderhaut, der schmale Kopf geschmückt von einem rötlichen Kranz. Geistesgegenwärtig griff Corvyn nach dem Messer an seinem Gürtel, aber es war schon zu spät. Der schwarze Stachel an dem langen Schwanz des Wesens schnellte vor und bohrte sich in das Bein des Jungen, der nur aufstöhnte und dann ins Wasser kippte. Corvyn ließ das Messer fallen und zog seinen Freund ans Ufer. „Nach Hause! Schnell!“
„Weißt du, Junge, warum ihr das überhaupt übersteht?“, sagte eine kratzige Stimme, deren Klang Corvyn an das Geräusch erinnerte, das entstand, wenn sein Vater sein schartiges Schnitzmesser schärfte. Die Stimme gehörte Bilga, der Kräuterfrau des Dorfes, die den jungen Leander gesund pflegte, nachdem der Stich des Grasliks ihm ein bösartiges Fieber beschert hatte. Während sie sprach, sah die Alte ihn nicht an und er war sich nicht einmal ganz sicher, ob sie tatsächlich ihn meinte oder den halb bewusstlosen Leander. Vielleicht sprach sie auch nur mit sich selbst, denn sie redete weiter, ohne eine Reaktion abzuwarten. „Die Viecher, die euch stechen, sind bloß Babys – kaum groß genug, um Fischeier fressen zu können. Ein erwachsener Graslik hätte die Größe eines Huhns, vielleicht auch eines Hundes. Aber es ist nicht wie bei Schlangen, Wölfen oder Bären; Graslik sind nicht irgendwann ausgewachsen. Sie wachsen, solange sie fressen. Das heißt, sie können auch so groß werden wie Ponys. Geschichten erzählen sogar von riesigen Exemplaren, die so groß waren wie Drachen. Von den Stacheln solcher Individuen bekommt man nicht nur Fieber. Wenn die dich erwischen, wachst du nicht wieder auf. Also seid gefälligst vorsichtiger, verstanden?“
Corvyn versuchte, sich den kleinen Graslik in der Größe eines Ponys vorzustellen, und schauderte. Pflichtschuldig nickte er, wenngleich die Alte mit dem Rücken zu ihm stand und es nicht sehen konnte.
Graslik sind in der Nähe fließender Gewässer häufig vorkommende Kreaturen. Sie sind zwar wahrscheinlich mit den Amphibien und Echsen verwandt, es ist aber unklar, ob sie natürlichen Ursprungs oder Ergebnis eines magischen Experiments sind.
Die Eier der Graslik werden von den Weibchen im Wasser abgelegt und unterscheiden sich nicht von Frosch- oder Fischlaich. Der Nachwuchs sieht nach dem Schlupf aus wie Kaulquappen, die jedoch bereits kleine Zähne haben. Sie ernähren sich von ungeschlüpften Eiern, sowohl von denen fremder Spezies als auch der eigenen Art. Über die ersten Wochen hinweg entwickeln sie ihre Gliedmaßen und ihren Schwanz, den sie anfangs zum Schwimmen nutzen; später formt dieser einen Stachel. Mit dem Wachstum und der weiteren Entwicklung seiner Form vergrößert sich auch die Beute des Grasliks und er macht vornehmlich Jagd auf Fische. Zudem verlieren sich mit dem weiteren Wachstum die gelbroten Flecken auf ihrem Rücken , da diese nur zur Abschreckung von Fressfeinden wie Vögeln dienen und ein Graslik von der Masse eines Ponys solche Feinde nicht mehr fürchten muss.
Solange Graslik klein sind, halten sie sich viel im und unter Wasser auf, wo sie sich geschickt fortbewegen können; eine Fähigkeit, die sie mit zunehmender Größe verlieren. Später ziehen sie das Laufen am Ufer dem Schwimmen vor, um ihre Beute im Wasser mit ihrem widerhakenbewehrten Stachel von oben – wie mit einem Jagdspeer – blitzschnell aufzuspießen. Der so gefangene Fisch wird von ihrem schnabelartigen Maul geschnappt und zerkleinert. Er sättigt den Graslik nicht nur, sondern die Verwesung dient in seinem Faulmagen zudem als Grundlage für das Gift in seinem Stachel.
Dieses Gift wirkt lähmend und ist – abhängig von der Größe des Grasliks und dem Nahrungsangebot – unterschiedlich wirkungsvoll. Während der Stich ca. froschgroßer Grasliks bzw. geringe Mengen des Gifts größerer Exemplare lediglich Benommenheit und starkes Fieber bei Erwachsenen auslösen (das dennoch behandelt werden muss), kann ein Graslik von der Größe eines Hasen mit einer Injektion seines Giftes einen Ochsen lahmlegen. Aufgrund dieses gefährlichen Giftes, das auch den erfahrensten Abenteurern zum Verhängnis werden kann, gibt es wenige auf Graslik spezialisierte Jäger. Die Gefahr, von diesen flinken Wesen überrumpelt und gestochen zu werden, ist für die meisten viel zu groß. Trotzdem oder gerade deshalb lohnt sich eine Extraktion der Halskrause eines Grasliks: Durch ihre Seltenheit ist ihr Marktwert sehr hoch und Fächer, Lampions und ähnliche Kleinigkeiten aus diesem Material sind bei reichen Damen sehr beliebt.
Doch vergesst nie Eure Vorsicht, wenn Ihr einem Graslik begegnet. Ein unaufmerksamer Moment und ein Ende in seinem Magen voll gammeligem Fisch ist Euch gewiss.
Kleiner Graslik (SG 5)
TP 8, INI +4, Schnabel/Stachel, KB Schnabel 2/Stachel 5,
Schaden Schnabel −1 /Stachel −2, Rüstung 2, Lähmungsgift (Rang 6), Stachelfieber (SG 8), Mehrfachangriff, Graslik-Sprungangriff, Schatz A
Erwachsener Graslik (SG 12)
TP 70, INI +4, Schnabel/Stachel, KB Schnabel 7/Stachel 14,
Schaden Schnabel +2/Stachel +1, Rüstung 1, Lähmungsgift (Rang 8), Stachelfieber (SG 8), Mehrfachangriff, Graslik-Sprungangriff, Schatz B
Alter Graslik (SG 15)
TP 200, INI +3, Schnabel/Stachel, KB Schnabel 6/Stachel 12,
Schaden Schnabel +3/Stachel +1, Rüstung 2, Lähmungsgift (Rang 12) – hat der Graslik weniger als 20 TP, dann setzt er stattdessen sein Tödliches Lähmungsgift (Rang 8) ein –, Stachelfieber (SG 12), Mehrfachangriff, Graslik-Sprungangriff, Schatz D
Graslik-Sprungangriff – Graslik können neben der regulären Bewegung und dem Angriff innerhalb einer Runde auch noch einen Sprung machen. Dieser kann bis zu SG des Grasliks hoch und zweimal den SG des Grasliks weit sein.
Stachelfieber – Das Opfer ist benommen (−1 auf alles), bekommt innerhalb von 8 Minuten Fieber (−3 auf alles) und kann sich ohne Behandlung nicht mehr erholen (weder Treffer-Punkte noch Magie-Punkte). Die Behandlung erfordert ein Heilkunst-Manöver mit einem SG von 6 +1 pro Tag, wenn das Opfer bereits daran leidet. Bei einem Erfolg setzt (nur) die normale Regeneration wieder ein. Magische Heilung wirkt nur dann, wenn die Formung explizit auch Krankheiten heilen kann oder im Titel das Wort „Genesung“ führt. (Nach einer Wiedererweckung ist das Stachelfieber auch verschwunden.)
Lähmungsgift – Misslingt dem Opfer ein Konstitutions-Manöver gegen den SG des Giftes, dann sind für 1W10 + SG Runden die (Bewegungs-) Muskeln gelähmt und das Opfer damit bewegungsunfähig. Die Wirkung setzt in der nächsten Runde nach der Vergiftung ein, sofern nichts anderes beschrieben ist.
Tödliches Lähmungsgift – Wirkt wie Lähmungsgift, aber betrifft teilweise auch die inneren Organe. Das Opfer hört auf zu atmen und erstickt. In seltenen Fällen hört sogar das Herz auf zu schlagen. Die Trefferpunkt sind auf −1 zu reduzieren, wenn sie nicht bereits schon niedriger waren. Das Opfer verliert pro Runde 1 weiteren Trefferpunkt (zusätzlich zu etwaigen anderen Verlusten, wie durch Blutungen). Nach der Lähmungszeit kann das Opfer den regulären Regeln entsprechend wiederbelebt werden.