von Birgit Oppermann & Tobias Freund
Fassungslos starrte die herbeigerufene Dorfvorsteherin auf den blutigen Tatort. Die beiden alten Wirtsleute waren tot, da konnte kein Zweifel bestehen.Irgendjemand hatte sie mit Schnitten und Stichen furchtbar zugerichtet. Als sie ihren Blick von den Toten wenden konnte, sah sie sofort die winzigen blutigen Fußspuren, die an mehreren Stellen im Zimmer sichtbar wurden. Fußspuren, die selbst für einen Gnomen deutlich zu klein waren, oder nicht? Vielleicht gabes ein Wichtelproblem im Dorf? Da gab es doch schon seit Langem die Gerüchte von der alten Mühle … Sie atmete tief durch. Einige Gnome waren in den letzten Tagen durch das Dorf gereist. Man würde ihnen sicherheitshalber nachreisen müssen, um ihre Füße zu vergleichen. Womöglich hatten sie Kinder, die zu so etwas in der Lage waren? Und der Sache mit den Wichteln mussten sie auch nachgehen. Oder vielleicht hatte sich ein normal großer Täter einen furchtbaren Scherz erlaubt und absichtlich diese absurd kleinen Fußspuren in den Raum gelegt? Man konnte nur hoffen, dass keine dunkle Magie im Spiel war …
Wo die wahren Täter waren, ahnte die Dorfvorsteherin nicht. Sie lagen gereinigt und sorgfältig verpackt in zwei beschnitzten Holzkisten auf dem Wagen eines alten Puppenspielers. Er packte gerade in Seelenruhe seine Sachen und steckte drei neugierigen Kindern Honigbonbons zu. Spätestens am Mittag würde der Gauklerzug weiterfahren. Sie hatten gut verdient und Kinder wie Erwachsene mit ihren Künsten erfreut. Und auch der Marionettenmeister fühlte sich endlich mal wieder satt und zufrieden …
In verschiedenen Orten auf Palea erzählt man sich von einem Marionettenmeister, der in der Lage ist, seine Figuren auf grausige Weise zum Leben zu erwecken. Tagsüber begeistert er die Leute auf den Bühnen der Dörfer und Städte mit seinen wundervollen Puppenspielen. Märchen für Groß und Klein bringt er genauso auf die Bühne wie historische Begebenheiten oder schlüpfrige Liebesgeschichten. Sein Vorrat an kunstvollen Marionetten scheint fast unerschöpflich zu sein. Aus seinem bunten Wagen zaubert er Figuren von Menschen, Elfen und Zwergen, von Tieren und Sagengestalten hervor und webt Geschichten aus ihnen, die lange im Gedächtnis bleiben. Kaum einer wird dem Marionettenmeister etwas Schlechtes nachsagen können. Er wirkt wie ein freundlicher und erfahrener Gaukler, der seit vielen Jahren mit seiner Kunst durch die Lande zieht. Nachts jedoch, wenn andere Gauklerinnen und Gaukler sich schlafen legen, geht der Marionettenmeister einer ganz anderen Kunst nach. Jetzt öffnet er die Truhen mit den Puppen, die tagsüber nie auf der Bühne zu sehen sind. Die, die keine Schnüre brauchen, um sich zu bewegen und zu handeln. Er erweckt seine Figuren zum Leben, damit sie ihm Gesellschaft leisten und seine Aufträge erfüllen. Denn Schlaf findet der Marionettenmeister ohnehin nicht. Dieses und andere menschliche Bedürfnisse sind ihm fremd. In der Nacht ist auch von seiner menschlichen Gestalt nur wenig übrig. Er wirkt schattenhaft, unbestimmt und so unauffällig, dass man ihn nur mit sehr viel Mühe überhaupt wahrnehmen kann. Ein Schemen, der sich gerne an Orten aufhält, die viel Geschichte atmen. In Ruinen, in alten Tempeln, in Kerkern oder auf Begräbnisstätten verschmilzt er mit den Schatten, während seine Marionetten in seinem Auftrag durch das Dorf streifen.
Die Puppen verstehen es, unauffällig zu bleiben. Sie sind klein genug, um sich in schmale Winkel zu drücken und durch kleinste Öffnungen zu kriechen. Kaum jemand hört oder sieht sie je, wenn sie es nicht wollen. Und wenn sie doch einmal gesehen werden, erstarren sie im Bruchteil eines Augenblicks. Selbst wenn jemand kurz eine Bewegung im Augenwinkel gesehen hat, bemerkt er dann nur noch eine verloren gegangene Puppe am Weg liegen. Die Bewegung muss wohl ein Irrtum gewesen sein. Wer würde auch damit rechnen, dass eine Marionette alleine durch die Straßen schleicht? Die Puppen belauschen die Dorfbevölkerung und flüstern ihrem Meister deren Geheimnisse ins Ohr. Sie erschrecken sie im Halbschlaf und laben sich und den Marionettenmeister an Angst und Schrecken. Sie stecken kleine Gegenstände ein, mit denen der Puppenspieler seine Einnahmen aufbessert. Und manchmal, da füllen sie ihre Bäuche mit Blut und Todesangst und sichern sich und ihrem Meister so eine weitere Weile ihres unnatürlichen Lebens. Ist der Marionettenmeister je ein Mensch gewesen? Wurde er durch seine dunkle Kunst zu dem, was er heute ist? Oder ist er ein ganz anderes Wesen? Ein Ungeheuer, das es nur gut versteht, sich als Mensch auszugeben?
Gibt es nur diesen einen Meister, der seit Jahrhunderten durch die Lande zieht und mal hier, mal dort auftaucht? Oder sind es mehrere, womöglich eine ganze Gattung furchtbarer Wesen, die sich ähnlich sind? Diese Fragen sind kaum zu beantworten, solange man dem Marionettenmeister nicht selbst gegenübersteht …
Marionettenmeister (SG 13)
TP 90, INI +4, Klauen, KB 13, Schaden 2, Rüstung 13, MP 26, Schwarze Magie 4, Gezielte Sprüche 7, Zauberresistenz 3, Angst (SG 13), Dämon, Körperlos, Nachladen 3, Regeneration 5, Schatz F.
Dämon: Aufgrund seiner dämonischen Natur besitzt der Marionettenmeister Zauberresistenz und einen übernatürlichen Rüstungsbonus (bereits in den Werten verrechnet). Als Dämon kann der Marionettenmeister mittels schwarzer Magie beherrscht, gebannt oder zerstört werden.
Schattengestalt: Der Marionettenmeister kann nach Belieben seine wahre, schattenhafte Gestalt annehmen. Er erhält dann die besonderen Fähigkeiten Angst und Körperlos sowie einen Bonus +4 auf Listmanöver (+8 in der Dunkelheit).
Weitere Angaben zu den besonderen Fähigkeiten Angst, Körperlos, Regeneration und Zauberresistenz finden Sie im Spielleiterheft, S. 47 (8. Aufl.).
Die lebenden Marionetten des Marionettenmeisters
Bei den lebenden Marionetten des Marionettenmeisters handelt es sich um niedere Dämonen, deren alleiniges Ziel es ist, ihrem Meister zu dienen. Sie sind an ihn gebunden und ihr Leben endet mit dem ihres Meisters. Nachfolgend finden Sie einige Beispiele für verschiedene Marionetten.
Der Räuber (SG 3)
Diese Puppe wurde einem grimmigen Räuber mit wildem Haar und Stoppelbart nachempfunden. Der Räuber liebt es, seine Opfer zu berauben und seine Beute seinem Meister zu Füßen zu legen.
TP 6, INI +3, Dolch, KB 5, Schaden -2, Rüstung 9, List 8, Dämon, Zauberresistenz 1, Schatz C.
Der Gaukler (SG 2)
Auf den ersten Blick erscheint diese Figur wie ein lustiger Gaukler, allerdings liebt er es, mit seinen Opfern böse Späße zu treiben und sie langsam, aber sicher in panische Angst zu versetzen.
TP 5, INI +2, Keule, KB 4, Schaden -2, Rüstung 8, MP 7, Schwarze Magie 1, List 7, Angst (SG 8), Dämon, Zauberresistenz 1, Schatz A.
Der Jäger (SG 3)
Die Figur des Jägers trägt einen spitzen, mit einer langen Feder geschmückten Hut, lindgrüne Kleidung und eine kleine Armbrust. Sein ganzes Sinnen und Trachten ist die Jagd: Das Aufspüren der Beute, die Hetzjagd und schließlich der Triumph, wenn die Beute tot zu seinen Füßen liegt.
TP 6, INI +2, Armbrust, KB 5, Schaden 0, Rüstung 8, List 5, Dämon, Zauberresistenz 1, Schatz B.
Die Prinzessin (SG 3)
Die Marionette der Prinzessin besitzt das unschuldige Gesicht eines Mädchens und in ihren prächtigen Kleidern und der goldenen Krone sieht sie wahrlich königlich aus. Hinter dieser Fassade steckt jedoch ein durch und durch bösartiges Wesen, welches sein Opfer durch das unschuldige Äußere in die Falle lockt, um sich dann an dessen Todesangst zu nähren.
TP 4, INI +4, Biss, KB 4, Schaden -3, Rüstung 8, List 9, Angst (SG 9), Dämon, Zauberresistenz 1, Schatz D.