Monster des Monats: Foliantmotten

von Birgit Oppermann & Tobias Freund

„He, du! Betreten streng verboten! Da unten gibt es Foliantmotten!“
Nachdrücklich scheuchte der alte Bibliothekar Nalin vom Treppenabsatz zu den tieferen Bücherkammern weg. Sie würde es in der Nacht noch einmal versuchen müssen. Nach den Besuchen der letzten Tage wusste sie genug über dieses alte Gemäuer, um problemlos eindringen zu können. Sie lächelte dem Bibliothekar freundlich zu, nahm sich ein Buch über die Sagen der Region aus dem Regal und vertiefte sich darin.

Kurz vor Mitternacht stand sie wieder an der Treppe, die zu den interessantesten Bereichen des Archivs führte. Dorthin, wo die wirklich wertvollen Bücher lagerten. Und hoffentlich auch die Schriftrollen, die ihr Auftraggeber suchte. Im Schein der kleinen Laterne stieg sie die Treppen hinab, öffnete leise die große geschnitzte Tür und betrat das erste der unterirdischen Gewölbe. Es roch weniger staubig, als sie vermutet hatte. Fast schon frisch. Zügig ließ sie die ersten Regale hinter sich. Hier standen nur Bücher, sie suchte aber nach Schriftrollen aus einem ganz besonderen, seltenen Papier.

Nalin drang immer tiefer in die Bücherhalle vor. Manchmal hörte sie ein Rascheln oder Zirpen in den Höhen der Regale, aber wenn sie hinsah, war nie etwas zu sehen. Vielleicht eine Fledermaus oder eine Ratte.

Sie war schon eine ganze Weile zwischen den Bücherregalen unterwegs, als ihr Blick auf etwas Ungewöhnliches fiel. Auf dem Boden lagen mehrere Bücher und Schriftrollen in einer seltsamen Anordnung aufeinander. Das wirkte im Kontrast zur peniblen Ordnung dieser Halle besonders auffällig. Nalin trat näher. Die Bücher waren aufgeschlagen und jemand schien in jedem von ihnen mehrere Stellen mit Kratzern und kleinen Papierkügelchen markiert zu haben. Wirklich merkwürdig.

Doch Nalin hatte zu tun. Sie schüttelte die Verwunderung ab. Mit einer schnellen Bewegung schob sie die obersten beiden Bücher zur Seite, um einen genaueren Blick auf die Schriftrollen darunter zu werfen. Es waren leider nicht die gesuchten, das wäre ja auch zu schön gewesen. Mit einem frustrierten Tritt gegen den kleinen Bücherhaufen wandte sie sich ab.

Nur Sekunden später wurde sie plötzlich von einem Buch an der Schulter getroffen. Sie wirbelte herum und sah gerade noch ein paar große graue Flügel hinter einem Regal verschwinden. Das war ganz sicher keine Fledermaus, das hatte eher wie eine riesige Motte ausgesehen. Blitzschnell hängte sie die Laterne an ihren Gürtel und zog die beiden Dolche. Doch schon flogen weitere Bücher aus verschiedenen Richtungen auf sie zu. Eines war ein Volltreffer. Es landete so hart in ihrem Genick, dass Nalin benommen auf die Knie sackte.

Diesen Moment der Schwäche nutzten die Angreifer, um auf sie loszugehen. Es waren drei. Sie waren etwa einen Meter groß und wirkten wie eine abscheuliche Mischung aus einem Humanoiden und einem Insekt. Waren das die Motten, von denen der alte Bibliothekar gesprochen hatte? Nalin schrie. Eines der Wesen verbiss sich in ihrer Schulter, während seine Fühler an ihrem Hals herumtasteten. Ein anderes hob ein eisenbeschlagenes Buch, schwer genug, um ihren Schädel zu zerschmettern. Das grausige Zirpen der Foliantmotten war das letzte Geräusch, das sie hörte, bevor sie das Bewusstsein verlor.

Aussehen und Lebensweise der Foliantmotten

Foliantmotten leben in den düstersten Ecken sehr alter Bibliotheken. Eine Legende besagt, dass es sich um frühere Bibliothekar:innen handelt, die sich auch im Tod nicht von ihren Büchern trennen wollten und eine neue Gestalt bekamen.

Die Mottenwesen haben einen menschenähnlichen Körper von etwa einem Meter Größe. Sie tragen nur sehr wenig Kleidung, der schmächtige Körper ist aber von seidigen, silbrig-grauen Härchen bedeckt. Ihr Gesicht wird von großen Facettenaugen dominiert und lange Fühler helfen ihnen als Tastorgane und bei der Orientierung in der Dunkelheit.

Ihr auffälligstes Merkmal sind jedoch die großen grauen oder weißen Mottenflügel. Sie sind zwar zum ausdauernden Fliegen nicht stark genug, aber die Foliantmotten können mit ihnen kurze Strecken fliegen, gleiten und sehr hoch und weit springen.

Obwohl die Flügel sehr ausladend wirken, können sich die Foliantmotten in überraschend kleine Ritzen zwängen. Sie leben in dunklen Winkeln, oft weit oben unter der Hallendecke oder auch hinter Regalen. Wenn sich solche Ecken nicht finden, bauen sie sich selbst einen Unterschlupf in einem Bücherregal.
Foliantmotten ernähren sich von Staub, Schimmel, Insekten und kleinen Nagern. Dadurch halten sie die Bibliothek frei von Schädlingen und Schmutz. Sie verursachen also keinen Schaden an den Büchern, sondern schützen sie im Gegenteil.

Hin und wieder jedoch beginnen einige Foliantmotten damit, Bücher zu verspeisen. Der Grund für diese seltene Verhaltensänderung ist unbekannt, sie wird aber schnell zum Problem. Zum einen richten diese Motten beträchtlichen Schaden an und zum anderen verhalten sie sich aggressiver als ihre Artgenossen. Schon bald lassen sie niemanden mehr in ihr Revier hinein und versuchen, es immer mehr zu erweitern. Auffällig ist: Wenn eine Foliantmotte zum Bücherfresser geworden ist, verhalten sich bald die anderen in dieser Bibliothek ähnlich. Ob es sich um eine Krankheit handelt?

Große Schwärme von 20 oder mehr Foliantmotten gibt es nur in sehr alten und verwinkelten Bauten. Häufiger treten die Motten allein oder in kleinen Gruppen von wenigen Exemplaren auf.

Die Foliantmotten sind vernunftbegabte Wesen und können erwiesenermaßen lesen. Sie scheinen jedoch anders als Menschen zu denken: bildhafter, tierischer, instinktgesteuerter. Die Kommunikation mit ihnen ist deshalb schwierig. Trotzdem versuchen die Foliantmotten immer wieder, Kontakt mit altgedienten Bibliothekar:innen oder ausgewählten Gästen aufzubauen. Sie nutzen dafür eine Art Buchsprache, indem sie Bücher auslegen und bestimmte Stellen markieren. Es ist jedoch schwierig, die Bedeutung zu verstehen. Nur wenigen Personen gelingt es, einen echten Austausch herzustellen und aufrechtzuerhalten. Untereinander kommunizieren die Foliantmotten offenbar mit einer komplizierten Sprache, die auf Flügelschlagen, leisem Summen und dem Abtasten mit den Fühlern basiert.

Es scheint, als ob Foliantmotten ein unbegrenztes Gedächtnis hätte. Sie können das Wissen unzähliger Bücher unverändert in sich aufnehmen und erkennen auch Personen wieder, die sie vor Jahrzehnten zum letzten Mal gesehen haben. Foliantmotten scheinen sich als Hüter:innen des Wissens zu verstehen und auch als Beschützer:innen der Bücher, in deren Umgebung sie leben. Sie verteidigen ihren Lebensraum und die Schriften vehement gegen Eindringlinge. Neben ihren Zähnen und Krallen nutzen sie aber auch Bücher als Waffen oder stoßen sogar Regale um. Manche Foliantmotten sind außerdem magiebegabt. Sie erzeugen Illusionen im Raum, sodass Eindringlinge in die Irre laufen oder immer wieder zum Ausgang zurückgeführt werden. Außerdem manipulieren einige von ihnen Licht und Dunkelheit. Auf diese Weise können sie mitgebrachtes Licht dimmen oder verlöschen lassen, andere Wesen plötzlich blenden oder Lichtquellen wie Türen und Fenster simulieren.

Abenteueransätze rund um die Foliantmotten

Vielleicht sind dir schon beim Lesen der Beschreibung Ideen für dein nächstes Abenteuer rund um die Foliantmotten gekommen? Wenn der zündende Einfall noch fehlt, helfen dir vielleicht diese Ansätze:

· Den Spieler:innen könnte es ähnlich gehen wie Nalin in der kurzen Szene am Anfang: Auf der Suche nach einer Schrift oder einem Buch werden sie von den Foliantmotten als Eindringlinge wahrgenommen und bekämpft.

· Vielleicht werden die Spieler:innen aber auch angeheuert, um die Foliantmotten in einer Bibliothek loszuwerden, weil diese zu einer Plage oder Gefahr geworden sind.

· Oder brauchen vielleicht sogar die Motten selbst Hilfe, weil ein Teil von ihnen bereits zu Bücherfressern geworden ist und sie diesen Prozess aufhalten wollen?

· Die Foliantmotten könnten andererseits hilfreich sein: Ihre Buchsprache weist die Spieler:innen vielleicht auf eine weitere, viel größere Gefahr oder ein spannendes Rätsel hin.

· Oder die Foliantmotten sind in deinem Abenteuer der einzige Weg, um an verlorenes Wissen heranzukommen. Dazu müssten die Spieler:innen ihr Vertrauen gewinnen und erfolgreich eine Kommunikation aufbauen.

Spielwerte

Foliantmotte (SG 2)
TP 3, INI +3, Biss/Krallen/Wurfgeschoss (Buch), KB 2, Schaden -2, Rüstung 8, List 8, Dunkelsinn, Fliegend (Gleiter), Schatz A.

Foliantmotte, magiebegabt (SG 4)
TP 3, INI +3, Biss/Krallen/Wurfgeschoss (Buch), KB 2, Schaden -2, Rüstung 8, Gezielte Sprüche 4, List 8, Dunkelsinn, Fliegend (Gleiter), MP 8, Freie Magie 3, Schatz A.

Dunkelsinn:
Auch wenn die Foliantmotten bei schlechten Lichtverhältnissen immer noch hervorragend sehen können, sind ihre Augen bei absoluter Dunkelheit nutzlos. In solchen Umgebungen verlassen sie sich auf ihre empfindlichen Fühler, die kleinste Veränderungen im Luftdruck und der Temperatur wahrnehmen können, sodass sie sich mit erstaunlicher Sicherheit zu orientieren wissen.

Fliegend (Gleiter):
Die Flügel der Foliantmotte sind nicht für ausdauernde Flüge geeignet, ermöglichen ihr aber eine schwerfällige Fortbewegung (-4 auf alle Manöver) im Umkreis von 100m, bevor sie sich für 1W10 Runden ausruhen muss. Sie scheinen eher zum Gleiten gemacht, weshalb eine Foliantmotte auch aus großen Höhen herabstürzen und sicher auf dem Boden landen kann. Sie verleihen ihr zudem die Fähigkeit, blitzschnell Sprünge von bis zu 10 m auszuführen und sich so aus einem Kampf zurückzuziehen oder unverhofft auf einen Gegner zu stürzen (KB 4, Schaden -2).

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